
"Das weiße Gold": Antikes Porzellan aus Fernost im MK&G
„Made in China“ steht für Billigware, Massenartikel, Produktpiraterie. Heute, wohlgemerkt. Bis
Anfang des 20. Jahrhunderts stand das Label für unübertroffene Handwerkskunst, insbesondere
auf dem Gebiet keramischer Erzeugnisse. Unter dem Titel „Made in China!“ gibt das Museum
für Kunst und Gewerbe derzeit Einblick in seine exquisite antike Porzellansammlung.
Achtung, Suchtgefahr! Man kann die „Maladie de Porcelaine“ beim Rundgang durch diese Aus-
stellung durchaus nachempfinden, unter der August der Starke (1670 – 1733) und mit ihm halb
Europa im 17. Jahrhundert gelitten hat. Eine vergleichbare Qualität an herrlichen Gefäßen, wie
sie im „Reich der Mitte“ produziert wurden, hatte man bis zu jener Zeit weder in Sachsen noch an anderen deutschen Höfen
gesehen. Und so zahlte der prunkliebende Barockfürst nicht nur Unsummen für das „weiße Gold“ aus Fernost, sondern ließ
auch den Alchemisten und Chemiker Johann Friedrich Böttger (1682 – 1719) festsetzen, der in seinem Gefängnis zwar kein
Gold herzustellen vermochte, dafür aber die Zusammensetzung des Porzellans entschlüsselte – um schließlich Chef der von
August begründeten ersten europäischen Porzellanmanufaktur in Meißen zu werden.
Der Sprung von Sachsens Kurfürst in das 20. Jahrhundert ist gewaltig, zugegeben – doch die bürgerlichen Großunternehmer
von Unilever und aus der Tabakindustrie, Harold A. Hartog (1910 – 2007) und Philipp F. Reemtsma (1893 – 1959), haben etwas
mit August dem Starken gemein: Ihre lebenslange Passion für chinesisches Porzellan.
Alle drei bauten phantastische Sammlungen auf, der eine für Dresden, die beiden anderen für Hamburg. Seit den Schenkungen
von Reemtsma (1996) und Hartog (2007) gilt die China-Kollektion des MK&G als eine der führenden in Europa. Viele Keramik-
liebhaber trauern noch heute dem unter Direktor Wilhelm Hornbostel 2006 eröffneten „Hartog-Flügel“ nach, der keine zehn Jahre
später unter der Nachfolgerin der Rekonstruktion der historischen Turnhalle weichen musste. Große Teile der kapitalen Porzellan-
Kollektion verschwanden damals im Depot, kein rühmliches Kapitel des Museums.
„Made in China!“ kann deshalb auch als eine Art (Wiedergutmachung wäre zu viel gesagt) später Einsicht interpretiert werden, mit
den Pfunden, die man hat, zu wuchern – und den beiden großen Sammlerpersönlichkeiten Hartog und Reemtsma Anerkennung
zu zollen. Über sie erfährt man in dieser Ausstellung recht viel, zum Beispiel, mit welcher Sorgfalt Hartog seine Sammlung persön-
lich katalogisierte. Oder dass dem Sammler-Sohn und Stifter, Jan-Philipp Reemtsma, erst mit zunehmendem Alter bewusst wurde,
wie sehr ihn die chinesischen Gefäße in seinem Elternhaus geprägt haben, und dass er sie heute mitunter vermisst.
Rund 180 Objekte, hinreißend schöne Vasen, Schalen, Teller und Kleinplastiken, geben nun Einblicke in die künstlerischen und
technischen Entwicklungen der Porzellanproduktion durch die Jahrhunderte, bis hin zur Exportware im 19. Jahrhundert, hauptsäch-
lich jedoch aus der Ming-Dynastie (1368 – 1644) und der Qing-Dynastie (1644 – 1911). Im Zentrum stehen Exponate aus den
kaiserlichen Werkstätten, die an Raffinesse und ornamental-verspielten Aufglasur-Dekoren nicht zu übertreffen sind. Rosafarbene
Gefäße mit lieblichen, europäisch gekleideten Figuren beispielsweise, die für die Chinesen im 18. Jahrhundert als Inbegriff des
Exotischen galten.
Im starken Kontrast dazu stehen die schlichten, technisch höchst aufwendigen monochromen Porzellane. In tiefem Blau, strahlendem
Gelb, samtigem Rot und kühlem Weiß dienten sie ursprünglich der Anbetung der verschiedenen Himmelsgötter im rituellen Kontext
am chinesischen Hof. Es ist aber nicht nur die gestalterische Vielfalt und absolute Perfektion, die hier immer wieder verblüfft, es ist
vor allem das zeitlos-moderne Design. Wer sich nicht gut auskennt, wird kaum sagen können, ob er eine Vase des 12. Jahrhunderts
oder von heute vor Augen hat.
Isabelle Hofmann
„Made in China!“, bis 23.8.2023, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1, 20099 Hamburg.
Di – So 10 bis 18 Uhr, Do (nicht vor und an Feiertagen) bis 21 Uhr.
Weitere Informationen auf www.mkg-hamburg.de.