Survival in the 21st Century
Grundfragen der menschlichen Existenz in mehr als 40 Ausstellungsprojekten
Ein kreiselnder Meteorit; 19 aus Stohlehm nachgebaute antike Kolonnaden des vom IS zerstörten
Weltkulturerbes Palmyra in Syrien; zwei sprechende Puppen, ein Baum und ein Bieber, im Austausch
über die katastrophalen Folgen des Kolonialismus für die indigenen Völker und die Tierwelt Nord-amerikas. Drei von rund 40 internationalen künstlerischen Positionen des Ausstellungsprojektes
„Survival in the 21st Century“, die in den Deichtorhallen die Grundfragen menschlicher Existenz
anreißen.
Die Tatsache, dass die Kuratoren Georg Diez und Nicolaus Schafhausen im Titel nachträglich das Wort
„Survival“ (Überleben) durchgestrichen haben, ist im Gedenken an all die Menschen geschehen, die es
in der Ukraine und in Nahost nicht geschafft haben zu überleben. Und wir, die wir (noch?) vom Krieg
verschont sind, werden konfrontiert mit einer Ausstellung, die auf den ersten Blick ebenso chaotisch,
sperrig und schwierig wirkt wie unsere Gegenwart. Aber Kunst ist ja dazu da, zu verunsichern, Fragen
aufzuwerfen, Denkanstöße zu geben – und das tut diese Schau überreichlich. Jede der Positionen ist
hier mit einer Fragestellung verbunden, die keinesfalls eindeutige Antworten bietet, aber in jedem Fall
zum Diskurs einlädt. Die Polaroid-Serie „Shoplifters“ des algerisch algerischfranzösischen Fotografen
Mohamed Bourouissa wirft beispielsweise die Frage auf: „Was ist Gerechtigkeit?“ Es zeigt die unscharfen
Bilder, die ein Geschäftsführer von Menschen aufnahm, die versucht haben, in seinem Laden Waren zu
stehlen: Alltagsbedarf wie Waschmittel, Eier, Brot, Getränke. Sind diese Menschen Täter – oder vielleicht
doch eher Opfer einer Gesellschaft, in der Arme und Alte auf der Strecke bleiben?
Überhaupt: Was ist Macht? Was ist Politik? Was ist Widerstand? Was ist Intelligenz? Was ist Schönheit?
Was ist Zeit? Was ist Zivilisation? Was ist Kultur? Was ist Wissen? Fragen über Fragen, in denen nicht
nur Klimawandel, Migration und Technologie thematisiert werden. Sondern auch Spiritualität oder der
Konflikt zwischen dem globalen und dem planetaren Denken, „zwischen der Vorstellung der Erde als
von Menschen beherrscht und der Einsicht, dass die Erde ein System menschlicher und nichtmensch-
licher Naturen ist“, wie es in dem Text zu Paul Kollings China-kritischem Werk „Westbound – 190621“
heißt. Wobei man der Tatsache ins Auge blicken muss, dass das menschliche Leben für das Überleben
unseres fünf Milliarden alten Planeten eher unwichtig ist, wie der kleine schwarze Meteorit symbolisiert,
den der kanadische Künstler Charles Stankievech über schwarzem Sand seine Kreise drehen lässt.
Wie es weitergeht, welches Wissen wir im 21. Jahrhundert in Sachen Demokratie und Politik, Gesellschaft
und Gemeinschaft, Kunst und Kultur, Umwelt und Nachhaltigkeit, Wissenschaft und Technologie benötigen,
darum geht es in der SCHOOL OF SURVIVAL, einem Zukunftslabor innerhalb der Ausstellung, die in rund
100 Vorträgen, Seminaren und Workshops gemeinsam mit Besuchern und Besucherinnen neue Denkan-
sätze und Kulturtechniken entwickelt. Inklusive einer experimentellen Küche, in der auch alte und neue
Lebensmittel-Verarbeitungen ausprobiert werden. Die Teilnahme ist im Eintrittspreis enthalten, alle Infos
auf der Website, die man sich unbedingt einmal ansehen sollte.
“Survival in the 21st Century”, bis 5. November 2024, Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstr. 1–2,
20095 Hamburg, Di – So 11 – 18 Uhr, 1. Do im Monat bis 21 Uhr (von 18 bis 21 Uhr freier Eintritt).
Weitere Informationen auf www.deichtorhallen.de.