Hermes Paket Schnelldienst, 1970er Jahre © Hermes
Hermes Paket Schnelldienst, 1970er Jahre © Hermes

Shoppen auf Bestellung

Der Versandhandel von seinen Anfängen bis heute

 

Dein Paket ist da!“ Okay, der Zettel klebt an der Tür, aber wo ist es denn nun? Wer kennt sie nicht, die Schnitzeljagd durch die Nachbarschaft. Rund vier Milliarden Paket-Sendungen wurden 2022 allein in Deutschland ausgeliefert, im Schnitt eine pro Woche und Person. Grund genug für das Museum der Arbeit, das „Shoppen auf Bestellung“ in einer opulenten Ausstellung von seinen Anfängen bis heute zu betrachten, zumal eines der größten deutschen Unternehmen – der Otto Versand Hamburg – in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert.

 

Zum Auftakt etwas Kunst: Von der Decke schwebt eine luftig-leichte Installation aus knallroten Kinderschaufeln
(Spielzeug ist ein Onlinebestseller), daneben steht Michael Heindls Verpackungsskulptur „All Now, All Free“
nebst Video-Dokumentation. Alles völlig kostenlos, wohlgemerkt. Nach Abschluss des Projektes schickte
Heindl die online bestellte Kamera gratis zurück. Und damit wären wir schon bei einem Kernproblem dieser
Knochenjob-Branche: Jedes zweite Paket wird in der Regel zurückgeschickt. Laut Statista verursachten 2021
allein Online-Retouren in Deutschland 795.000 Tonnen CO2-Emissonen.

 

Das Thema ist also heiß, nicht nur was Klimawandel und Umweltverschmutzung anbelangt. Die Branche boomt
und setzt in Deutschland jährlich 80 Milliarden Euro um. Doch Kostendruck und Verdrängungskampf internationaler
Big Player wie Amazon, Zalando und Alibaba sind gnadenlos und gehen (meist) zulasten von Menschen mit
Migrationshintergrund, die sich mangels Alternativen gegen Lohndumping und ausbeuterische Arbeitsbedingungen
nicht gut wehren können.

 

In der von Sandra Schürmann und Florian Schütz sehr sinnlich kuratierten Schau klingen diese Themen immer
wieder an, ohne dabei explizit im Vordergrund zu stehen. Ihre Ausstellung will nach eigener Aussage die Men-
schen in den Mittelpunkt stellen: „Den Wert und die Menge der zu leistenden Arbeit verdeutlichen und den Versand-
handel in den Kontext unserer modernen (Konsum-)Gesellschaft einordnen“. Deutlich wird dabei jedoch vor allem
die Entwicklung des Versandhandels seit dem späten 19. Jahrhundert, die hier mit antiquarischen, zum Teil auch
kuriosen Objekten anschaulich wird, wie dem Papierkragen des ersten deutschen Universalversenders Mey &
Edlich in Leipzig um 1880 oder einem Apparat namens Telefix (zum Bestellen von Waren) aus den 1970er Jahren.
Über die Anfänge von Otto, Quelle und Neckermann (mit dem legendären Bonanza-Rad als Highlight) nach dem
Zweiten Weltkrieg geht es weiter, bis zur Ost-West-Geschichte (auch die DDR hatte einen Versandhandel, nur
waren die Produkte meist nicht lieferbar) und einem nachempfundenen Logistikzentrum von heute, in dem die
Besucher und Besucherinnen selbst Pakete sortieren und stapeln können.

 

Ein Großteil der Exponate stammt aus dem umfangreichen Archiv der Hamburger Otto Group: Von Werner Ottos
erstem handgebundenen Katalog 1949, Auflage 300 Stück, der ein noch sehr überschaubares Sortiment von 29
Paar Schuhen enthält (verschickt wurde übrigens immer nur ein Schuh, wenn er passte, kam der andere nach),
über den original Handkarren, mit dem die Otto-Kataloge Anfang der 1950er Jahre ausgetragen wurden, bis hin
zu einer Auswahl an Katalogen quer durch die Jahrzehnte, die zu einer nostalgischen Zeitreise einlädt.

 

Als Otto 2019 die Kataloge einstellte, war das nicht nur für viele Mitarbeiter „der Anfang vom Ende“ (Volkmar
Junghans, 36 Jahre lang Sammelbesteller bei der Otto Group), sondern auch die Initialzündung zu dieser Aus-
stellung,wie Museum der Arbeit-Direktorin Rita Müller betont: „Als ich vor fünf Jahren den letzten gedruckten
Otto-Katalog in den Händen hielt, war mir klar, dass das eine Zäsur ist“.

 

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, die Otto Group zu ihrem 75. Jubiläum zu würdigen: Das Hamburger
Unternehmen ist Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz, und hält sich an die Standards in Punkto
Mindestlohn und Arbeitszeit – eine Ausnahme in der E-Commerce-Branche. Da kann man doch nur sagen:
„Otto find‘ ich gut“.

 

„Dein Paket ist da! Shoppen auf Bestellung“, bis 28. April 2025, Museum der Arbeit, Wiesendamm 3,
22305 Hamburg, Mo 10 – 21 Uhr, Mi – Fr
10 – 17 Uhr, Sa/So 10 – 18 Uhr, Di geschlossen.
Weitere Informationen auf www.shmh.de/museum-der-arbeit.

 

Sehr empfehlenswert sind zwei vor Ort erhältliche Broschüren zum Thema: Das Begleitheft zur Ausstellung
und „Ausgeliefert“, die Untersuchung
der Branche von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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