D. Armstrong, Cookie, 1977 © Estate of David Armstrong
D. Armstrong, Cookie, 1977 © Estate of David Armstrong

High Noon

Subkultur im Bild – Fotografien von Nan Goldin, David Armstrong, Mark Morrisroe
und Philip-Lorca diCorcia

 

Sie haben ihr Leben im Amerika der 70er und 80er Jahre fotografiert, ihre Lieben, ihre Ängste,
ihre Krisen und das Drogenelend in der Schwulen- und Drag-Szene, in der sie zu Hause waren.
Unter dem Titel „High Noon“ gibt es derzeit in den Deichtorhallen ein Wiedersehen mit rund 150 Fotografien von Nan Goldin, David Armstrong, Mark Morrisroe und Philip-Lorca diCorcia aus der
Sammlung F. C. Gundlach – Bilder, die einen heute, gut 40 Jahre später, immer noch ergreifen.

 

„High Noon – Zwölf Uhr mittags“. Wer denkt da nicht an den Western-Klassiker aus dem Jahr
1952 mit Gary Cooper, der als Marshal Will Kane im Duell den Mörder Frank Miller zur Strecke
bringt. High Noon ist die Stunde der Entscheidung, die Zeit, da die Sonne keine Schatten wirft,
alle und alles erbarmungslos ausleuchtet. So, wie es Nan Goldin (*1953), David Armstrong
(1954-2014), Mark Morrisroe (1959-1989) und Philip-Lorca diCorcia (1953*) gemacht haben,
die mit ihren schonungslosen Aufnahmen aus dem sozialen Abseits das Establishment der
Reagan-Ära schockten. Alle vier lernten sich an der School of the Museum of Fine Arts in Bos-
ton kennen, doch als „Boston School“ wollten sie sich nicht verstanden wissen, die fotografischen
Stile waren zu unterschiedlich. Ihr Lebensstil hingegen war ein und derselbe. „Wissen Sie, es
ging um Queerness, es ging um Punk und Rebellion, es ging um Drogendealer und Drag-Bars…“,
so Armstrong in einem frühen Interview. Aids und Underground-Clubs, Liebe und Tod, Sucht
und Sex – alles gehörte untrennbar zusammen, insbesondere bei den beiden „Seelenverwandten“
Nan Goldin und David Armstrong, die eine fast schon symbiotische Beziehung verband.

 

Der Weg in die von Sabine Schnakenberg einfühlsam kuratierte Schau führt durch die Ausstellung
„Franz Gertsch. Blow-up“. Was für ein krasser Gegensatz: Erst feinster Schweizer Fotorealismus,
sauber, groß und klar – dahinter Subkultur im Klein- und Mittelformat. Im Zentrum stehen Nan
Goldins schummerig-warme Farbfotos, die sich lesen wie ein intimes Tagebuch in ungeschminkter
Schnappschuss-Ästhetik. Armstrongs Schwarzweiß-Porträts wirken dagegen ruhiger, zurückhaltender,
voller Melancholie, Sehnsucht und Zärtlichkeit. Schnakenberg stellt auch seine Stadtlandschaften vor,
die sich in grobkörniger, wattiger Unschärfe an der Grenze zwischen Fotografie und Malerei bewegen.
Mark Morrisroes Fotografien wiederum drehen sich um das eigene ich, seine Sexualität, aber auch
seine Freundinnen, Freunde und Liebhaber. Ein Werk, das sich formal übrigens durch große Experi-
mentierfreude auszeichnet. Morrisroe überlagerte Schwarz-Weiß- und Farbnegative in „Sandwich-
Technik“. Das Ergebnis: Weiche Konturen, reduzierte Farbigkeit und gezielte Unschärfen, die einen
fast nostalgischen Effekt erzeugen. Nachträgliche Bemalungenverfremdeten die Fotos einmal mehr.

 

Während Goldin, Armstrong und Morrisroe das Medium nutzen, um sehr persönliche, dokumentarische
oder experimentelle Werke zu schaffen, fasziniert Philip-Lorca diCorcia die bewusste Überinszenierung
von Alltäglichkeit. Inspiriert von Mode- und Werbefotografie, erschafft er künstlich überhöhte, fast
bühnenartige Szenen mit minutiös geplanter Lichtregie: Inszenierte Konstruktionen zwischen Realität
und Fiktion, die die Frage aufwerfen, wie viel Wahrheit in der Fotografie steckt.

 

F. C. Gundlach, Gründungsdirektor des Hauses der Fotografie, erkannte schon früh das revolutionäre
Potential dieser „Boston-Group“. Besonders mit Nan Goldin bestand eine enge Verbindung, da er sie
ab den frühen 90er Jahren mit Ankäufen permanent unterstützte. Nan Goldin ist heute sicher der be-
kannteste Name, doch klar ist auch: Alle vier haben in den 1980er Jahren ein neues Kapitel der Foto-
grafie aufgeschlagen.

 

Isabelle Hofmann

 

„High Noon“ läuft bis 4. Mai 2025 parallel zur Ausstellung „Franz Gertsch. Blow-up“
in
den Deichtorhallen, Haus für aktuelle Kunst, Deichtorstr. 1 -2, 20095 Hamburg,
Di – So 11
– 18 Uhr, 1. Donnerstag im Monat bis 21 Uhr.
Weitere Informationen: www.deichtorhallen.de

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