Lee Miller: Fire Masks © Lee Miller Archives, East Sussex, England
Lee Miller: Fire Masks © Lee Miller Archives, East Sussex, England

Lee Miller - Fotografin zwischen Krieg und Glamour

Für ihren Sohn war Elisabeth „Lee“ Miller (1907 – 1977) nur die hingebungsvolle Köchin und Gastgeberin. Wie sollte das Kind auch wissen, dass die Kunst des Kochens für die depressive und alkoholkranke Frau vor allem Kriegsbewältigung und Therapie bedeutete. Erst beim Sichten
des Nachlasses erfuhr Antony Penrose, dass seine Mutter „die Frau in Hitlers Badewanne“ war.

 

Schwer traumatisiert vom Krieg und dem Grauen in den Konzentrationslagern Buchenwald
und Dachau, das sie im Auftrag der britischen und amerikanischen „Vogue“ 1945 dokumentierte, wollte die couragierte Fotografin ihre eigenen Bilder nur noch vergessen und verstaute sie Ende der 50er Jahre mitsamt Kamera auf dem Dachboden ihres Farmhauses in East Sussex. Dort
hatten sich Lee Miller und ihr zweiter Mann, Roland Penrose, ein Refugium geschaffen und feierten regelmäßig mit ihren illustren Freunden der damaligen Avantgarde: Darunter Picasso
(Patenonkel ihres Sohnes), Dora Maar, Joan Miró, Henry Moore, Max Ernst, Man Ray.

 

Auf der Farley Farm erfand sich Lee Miller neu, schuf „surrealistische Menüs“ und wurde alsbald als kreative Gastgeberin in der „Vogue“
und „House and Garden“ gefeiert. Kamen Anfragen von Museen nach ihren frühen Fotografien, sagte sie nur, „die seien verbrannt“, erinnert
sich Antony Penrose, der später auf der Farley Farm das Lee-Miller-Archiv gründete.

 

In einer fulminanten Ausstellung breitet das Bucerius Kunst Forum nun alle Schaffensphasen dieser Ausnahmefotografin aus, von den
ersten Porträts und Modeaufnahmen in den 1920er Jahren, über die surrealen Experimente bis hin zu den erschreckenden Fotos der
Jahre 1942–1946.

 

Es ist nicht nur die besondere Ästhetik und der surreale Blick ihrer Aufnahmen, die so nachhaltig beeindrucken, es ist auch das hollywood-
reife Leben der bildschönen US-Amerikanerin, mit wirklich allem, was dazugehört. Als kühle Blonde wird Lee Miller 19-jährig von Vogue-Herausgeber Condé Nast in New York als Model entdeckt, steigt auf zum Covergirl des Modemagazins und zum Inbegriff der „modernen
Frau“ – um mit 22 Jahren selbst Fotografin zu werden. Sie geht als Schülerin zu Man Ray nach Paris, die beiden werden ein Paar, sie lernt
die Pariser Surrealisten kennen, spielt in Jean Cocteaus Film „Le sang d’un poète“ mit und serviert den Surrealisten-Kollegen zwei aus der Pathologie gestohlene amputierte Brüste auf einem Teller, samt Messer und Gabel – ihr Protest gegen die Herren Künstler und deren
Gewohnheit, sich Frauen „einzuverleiben“. Nach einem Krach mit Man Ray kehrt Miller zurück nach New York und eröffnet 1933 ein
eigenes Fotostudio, heiratet ein Jahr später einen ägyptischen Geschäftsmann, zieht nach Kairo und verliebt sich 1937 in den britischen Surrealisten Roland Penrose, den sie in Paris kennenlernt und zu dem sie 1939 nach London geht.

 

Das allein ist schon filmreifer Stoff, aber erst im Krieg erfährt die gefragte Modefotografin ihre wahre Berufung: Ab 1940 fotografiert
Miller für die britische „Vogue“ die systematische Bombardierung Londons durch Nazideutschland, „Vogue“-Redakteurinnen im
Luftschutzkeller, Models zwischen Trümmern als Zeichen der Zivilisation inmitten der Barbarei. Der Einsatz an der Front als akkreditierte
Kriegskorrespondentin der US-Armee folgt ab 1942. Auf dem Bild, das ihr Interimsbegleiter, der „Life“-Fotograf David E. Scherman, von
Lee 1944 in Saint Malo aufnimmt, erkennt man die einstige Schönheit kaum: Eine vorzeitig gealterte Frau, gezeichnet vom Schrecken.
An Hitlers Todestag, am 30. April 1945, fotografiert Sherman seine Freundin und Kollegin „in Hitlers Badewanne“ (von Hitlers Selbstmord
wissen die beiden zu dem Zeitpunkt nichts). Was für ein Statement: Der Feind ist besiegt, Lee Miller erobert – stellvertretend für die
Siegermächte – Hitlers intimsten Raum.

 

Die Dämonen der Erinnerung konnte sie jedoch nicht besiegen.

 

Isabelle Hofmann

 

Lee Miller, bis 24. September, Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, 20457 Hamburg, täglich 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr.
Weitere Informationen auf
www.buceriuskunstforum.de.

 

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