Pippis Papa
Die wirklich wahre Geschichte des Carl Petterson
Zwei mal drei macht vier, Widdewiddewitt und drei macht neune…“ Jedes Kind kennt dieses
Lied und weiß natürlich auch, wer es singt: Pippi Langstrumpf – neben Alice (im Wunderland)
das wohl bekannteste Mädchen der Kinderliteratur. Aber wer weiß schon, dass der Vater dieser wunderbar rebellischen Heldin von Astrid Lindgren ein reales Vorbild hatte? Mit „Pippis Papa
und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik“ beleuchtet das Museum am Rothenbaum Lindgrens mögliche Inspirationsquelle und thematisiert dabei koloniale Altlasten und Traumata
der pazifischen Bevölkerung, die bis heute nachwirken.
Eine riesige hellgrüne Rampe mit Rutsche, Tunnel und mehreren Video-Stationen dominiert den
ansonsten hell und luftig gestalteten Saal. Auf den ersten Blick eine bunte, fröhliche Inszenierung
(mit IKEA-Esprit) für Kinder und Erwachsene, die zum spielerischen Entdecken einlädt. So jedenfalls
hat man das MARKK noch nie gesehen. Vor der Rampe ein Schild, auf dem ein farbenprächtiger
Tukan namens Manu (Illustration von El Boum), die Kids auffordert, mit ihm „durch die Ausstellung
zu fliegen“. Ob das so locker gelingt, darf allerdings bezweifelt werden, denn die vielen Texttafeln,
die folgen (zu insgesamt fünf Kapiteln), müssen von den „Menschen ab 9 Jahren“ (so die Empfeh-
lung des Museums) erst einmal bewältigt werden: Zur Debatte stehen das verpönte „N“-Wort in
Lindgrens Büchern (Enkelin Annika Lindgren hat sämtliche Bücher überarbeitet und ganze Kapitel
gestrichen) sowie das Für und Wider zurückgezogener „Winnetou“-Bücher und „Jim Knopf“-Text-
änderungen, vor allem aber die Art und Weise, wie man mit rassistischen Ansichten und Begriffen
in Kinderbüchern umgehen soll. Hochkomplexe Themen also, die eine kritische Auseinandersetzung
mit Machtverhältnissen, kultureller Aneignung und historischen Ungerechtigkeiten erfordern. Ein
äußerst ambitioniertes Unterfangen für Kinder im Grundschulalter.
Sei’s drum. Die Geschichte von Carl Pettersson (1875 bis 1937), dem schwedischen Seefahrer,
der sich nach einem Schiffbruch auf Tabar niederließ, einer Insel nördlich von Neuirland in Papua-
Neuguinea, mit seiner pazifischen Frau Singdo neun Kinder hatte, Kokosplantagen anlegte und
später erfolgreich nach Gold schürfte, wird auch Pippi-Fans im Grundschulalter in ihren Bann
ziehen. Die Ähnlichkeiten mit der literarischen Figur des Efraim Langstrumpf, König über „Taka-
Tuka-Land“, der seine in Schweden lebende Tochter mit einem endlosen Vorrat an Goldmünzen
versorgen kann, ist einfach zu verblüffend. Da schwedische Zeitungen zu Petterssons Lebzeiten
mehrfach über „King Kalle“ berichteten, ist es höchst wahrscheinlich, dass Astrid Lindgren, als
junge Frau Journalistin in Vimmerby, die Abenteuer ihres Landsmanns kannte, vielleicht sogar
selbst darüber berichtete. Spannend an dieser Geschichte ist auch, dass ein schwedisches For-
schungsteam Anfang der 2000er Jahre Kontakt zu Pettersons Nachfahren in der Südsee aufnahm.
Durch dieses Projekt kam es zu einer Familienzusammenführung des schwedischen und des
pazifischen Zweiges der Petterssons 2003 und einer Malagan-Zeremonie zu Ehren von Singdo.
Neben zahlreichen Artefakten, Fotografien, Zeitdokumenten, Kleidung, Gerät und Schmuck sind
auch eine Reihe der genannten Malagan-Skulpturen zu sehen. Früher waren diese faszinierenden,
magischen Kultfiguren die Highlights der Südsee-Abteilung, in dieser Schau stehen sie dichtge-
drängt wie abgestellt in einer Ecke. Unverständlich, wenn man ihre bedeutsame Rolle in der
pazifischen Kultur bedenkt, die hier in einem Video-Interview mit einem Malagan-Schnitzer zum
Ausdruck kommt. Irritierend auch der Kommentar von „Manu“, der mit aufgerissenem Schnabel
auf dem Weg zu den Objekten verkündet: „Museum?! – Oje, das wird jetzt gaanz (sic!) schwierig
für mich. Zuerst hat man uns Vögeln die Federn geraubt und dann wurden wir auch noch ausge-
stopft und ausgestellt!“ Stimmt zwar, aber das haben längst nicht nur Museumsleute getan. Und
was will „Manu“ den Kindern damit sagen? Sollten sie besser nicht mehr ins Museum gehen?
Das wäre ja auch mal eine spannende Debatte.
Isabelle Hofmann
„Pippis Papa“, bis Ende 2025, MARKK, Museum am Rothenbaum, Rothenbaumchaussee 64,
20148 Hamburg, Di – So 10 – 18 Uhr, Do bis 21 Uhr. 24./25./31.12 sowie 1.01. geschlossen.
Weitere Informationen auf www.markk-hamburg.de.