
Töchter einer neuen Zeit
Regisseur Gil Mehmert bringt Carmen Korns Erfolgsroman auf die Bühne des
Ernst Deutsch Theaters
Eigentlich wollte sie die Geschichte ihrer Familie schreiben. „Das hab ich nie geschafft“, sagt
Carmen Korn. Stattdessen entstand die Erzählung über vier junge Frauen in der Zeit von 1919
bis 1949, die in Hamburg, oder genauer gesagt auf der Uhlenhorst leben: die „Töchter einer
neuen Zeit“. Von dem Riesenerfolg des Buches, das 2016 erschienen ist, war sie überrascht.
Die zweite Überraschung erlebte sie jetzt, fast zehn Jahre danach: Im Ernst Deutsch Theater
soll ihr Roman auf die Bühne kommen. „Pläne für einen Film gab es ja schon mit dem Rowohlt
Verlag. Aber ans Theater habe ich nie gedacht“, erklärt die Autorin.
Produzent Michael Hildebrandt, der mit Regisseur Gil Mehmert beim Musical „Das Wunder von
Bern“ zusammen gearbeitet hatte, kam auf die Idee für eine Bühnenfassung, möglicherweise
mit Musik. Mehmert, der das Ernst Deutsch Theater von einem Gastspiel bei den Privattheater-
tagen 2019 kannte, schlug dies Theater vor, da die Geschichte in der Umgebung des Hauses
spielt, und er konnte Intendantin Isabella Vértes-Schütter dafür gewinnen.
Carmen Korn wohnt beim Theater um die Ecke. Kommentar ihres Autoren-Kollegen Christian
Pfannenschmidt zu dem Bühnenprojekt: „Ist doch wunderbar, da kannst du auf Puschen rüber-
gehen.“ Die Umgebung im Stadtteil Uhlenhorst, wo Carmen Korn und ihr Mann seit 1976 leben,
spielte auch bei der Entwicklung des Romans, aus dem schließlich eine Trilogie wurde, eine
wichtige Rolle. „Ältere Nachbarn haben mir viele Geschichten aus der Zeit vor und nach dem
Krieg erzählt, aber es ist auch viel von meiner Familie mit eingeflossen“, sagt die Autorin.
Es geht um vier Freundinnen mit sehr unterschiedlichen sozialen und politischen Hintergründen.
Die eher bürgerliche Henny und die überzeugte Kommunistin Käthe sind Hebammen an der
Klinik Finkenau. Die höhere Tochter Ida wird wohlhabend, aber unglücklich verheiratet, und die
für Reformen offene Lehrerin Lina bekennt sich zu ihrer Beziehung mit Louise. Korn: „Es war ja
eine aufregende Zeit damals und es ist unfassbar viel passiert. Es war mir wichtig, das alles
nicht aus der großen politischen Sicht zu betrachten, sondern von den Menschen aus.“ Das
Schicksal des jüdischen Arztes Kurt Landmann, der von den Nazis Berufsverbot bekommt, ist
dafür bezeichnend. Auf die Umsetzung der politischen Situation bei der Bühnenbearbeitung
legt sie auch besonderen Wert. „Aber da habe ich großes Vertrauen zu dem Team“, versichert
sie und mischt sich in die Arbeit von Gil Mehmert nicht ein.
Wie der Regisseur bei den mehr als 500 Seiten Romanvorlage die Akzente setzt, erklärt er so:
„Zunächst bin ich vom Kosmos der vier Mittelpunkts-Charaktere Henny, Käthe, Lina und Ida
ausgegangen, habe aber schnell gemerkt, dass Louise, wenn sie auch später dazu kommt,
eigentlich die fünfte Hauptfigur ist. Dann ging es darum, die jeweiligen Handlungsstränge und
das persönliche Umfeld einzukreisen und gegebenenfalls einzugrenzen. In der szenischen
Umsetzung erscheint mir der Wechsel zwischen Ereignissen der Gesellschaft, also Festivitäten,
Versammlungen, Demonstrationen, Krieg, im Wechsel zu den privaten und intimen Szenen
sehr reizvoll, so dass die Kontraste und die wechselseitige Bedeutung in der Bearbeitung und
entsprechend auch in der Umsetzung eine Rolle spielen.“
Gespielt werden die Freundinnen von Pia Koch (Henny), Katharina Pütter (Käthe), Amber-
Chiara Eul (Ida), Merle Hoch (Lina) und Ines Nieri (Louise). Die Autorin freut sich, dass ihre
Figuren jetzt tatsächlich menschliche Gestalt annehmen. „Ich kann sie mir alle gut vorstellen.
Bei meinen Lesungen habe ich auch vom Publikum immer wieder gehört: Wir haben alles
im Kopf, aber wir würden es gerne mal sehen, wenn jemand anderes das ins Bild setzt.“
Inzwischen hat Carmen Korn ihren neuesten Roman fast fertiggestellt. Er spielt wieder in
der Vergangenheit, in den Nachkriegsjahren mit dem Kälte- und Hungerwinter 1946, diesmal
nicht auf der Uhlenhorst, sondern in Eimsbüttel. „Ich hätte gern etwas geschrieben aus der
Zeit, in der ich lebe“, sagt sie. „Aber mit der Jetzt-Zeit habe ich mich überfordert gefühlt. Bei
der Vergangenheit weiß ich, wie es ausgegangen ist.“
Für schriftstellerischen Nachwuchs ist in ihrer Familie übrigens bereits gesorgt: „Meine Enke-
lin schreibt an ihrem ersten Roman“, freut sich die Großmutter. Er heißt „Die drei Eichhörnchen-
Detektive.“ Schließlich hat die Omi früher auch Kriminalromane geschrieben. Bis sie fand, dass
das echte Leben schon gefährlich genug sei. Enkelin Hannah ist neun Jahre alt.
Brigitte Ehrich
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