Restaurant Spoerri, 16. November 1972, 1972 © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025. Courtesy Galerie LEVY
Restaurant Spoerri, 16. November 1972, 1972 © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025. Courtesy Galerie LEVY

Ich liebe Widersprüche

Umfassende Werkschau des Schweizer Künstlers Daniel Spoerri

 

   Die Ausstellung „Ich liebe Widersprüche“ eröffnet einen neuen Blick auf das Werk Daniel Spoerris (1930 – 2024), der unter dem Namen Daniel Isaac Feinstein in Rumänien geboren wurde und 1942 mit seiner Mutter und fünf Geschwistern vor den Nationalsozialisten nach Zürich floh. Nach einer ersten Karriere als klassischer Tänzer gründete Spoerri 1960 in Paris zusammen mit Yves Klein, Jean Tinguely und anderen befreundeten Künstlern die Gruppe der Nouveau Réalistes und entwickelte sich zu einem prägenden Vertreter der Objektkunst.

 

Auf vier Etagen der wunderbar hergerichteten ehemaligen Fabrikhalle der Phoenix-Werke in Harburg präsentieren die Deichtorhallen nun einen umfassenden Überblick über das Werk Daniel Spoerris aus dem Zeitraum 1959 bis 2018. Darunter auch weniger Bekanntes, etwa die ab 1972 entstandenen Brotteigobjekte oder neuere Textilarbeiten aus der Serie „Fadenscheinige Orakel“. Das alles in einem direkten Dialog mit Arbeiten der Sammlung Falckenberg – US-amerikanischen und deutschen Gegenkultur-Positionen von Ray Johnson

bis Jonathan Meese, die bewusst die Werte der sogenannten Mehrheitsgesellschaft in Frage stellen.

 

So kann Spoerris Werk noch besser in einer breiten kulturellen und politischen Avantgarde verortet werden, die seit den 1960er Jahren die Konventionen in Kunst, Leben und Gesellschaft herausforderte. Das für Spoerri typische Spiel mit Alltagsmaterialien und der ironische Umgang mit der Bedeutung von Urheberschaft prägte die Kunst vieler Künstlerinnen und Künstler der nachfolgenden Generationen, die oft experimentell arbeiteten und sich als Vertreter einer subversiven Gegenkultur verstanden.

 

Anknüpfend an die Readymades („Ein hergestellter Gegenstand, der durch die Wahl des Künstlers in die Würde eines Kunstwerks erhoben wird“, so die Definition von André Breton), die die Kunst des 20. Jahrhunderts revolutionierten, schuf Daniel Spoerri mit seinen „Fallenbildern“ eine eigene Kunstgattung. Hierbei verklebte er flüchtige Alltagsszenen, z. B. die Spuren eines Festmahls mit Tellern, Gläsern und Essensresten, zu Assemblagen, also dreidimensionalen Collagen, und erhob sie so auf spielerisch-subversive Weise zu Kunst – oder Anti-Kunst. „Eine x-beliebige vorgefundene Situation sollte genau so auf ihrer Unterlage fixiert werden, wie sie dalag, sozusagen als ein ‚Ausschnitt von Welt‘ oder als ‚Mini-Territorium‘. Das war mir auch emotional als Heimatlosem (…) sehr wichtig“, so Sporri selbst dazu.

 

Als begeisterter Koch lud Daniel Spoerri übrigens oft zum Essen ein – er liebte es, zu feiern und Menschen zusammenzubringen. 1968 eröffnete er in Düsseldorf das Restaurant Spoerri und seine Eat Art Galerie, in der er regelmäßig Ausstellungen mit Werken verschiedener Künstler, die mit Lebensmitteln arbeiteten, organisierte. Brotkrümel, Zigarettenstummel, benutzte Servietten fügen sich zu eigenwilligen Gesellschaftsporträts – fernab des Schönen und Erhabenen und des bürgerlich guten Geschmacks.

 

Für diese wirklich interessante Ausstellung der Sammlung Falckenberg, ganz in der Nähe des S-Bahnhofs Hamburg-Harburg gelegen, lohnt der Sprung über die Elbe unbedingt. Schade zwar, dass die Ausstellungen in diesem „Ableger“ der Deichtorhallen ausschließlich sonntags von 12 bis 17 Uhr geöffnet sind, aber es ist auf jeden Fall ein toller Ort, um den Sonntagnachmittag zu verbringen.


 

Daniel Spoerri: Ich liebe Widersprüche, bis 26. April 2026, Sammlung Falckenberg/Deichtorhallen Hamburg, Wilstorfer Str. 71,  21073 Hamburg (Nähe S-Bahn Hamburg-Harburg), So 12 – 17 Uhr, Führungen am Sa und feiertags um 12 und 15 Uhr (nur mit Vorab-Ticketbuchung), 24./25./31.12. geschlossen. Weitere Informationen auf www.deichtorhallen.de