American Cycles
Fotos von Philip Montgomery in den Deichtorhallen
Mit „American Cycles“ präsentiert PHOXXI – das Temporäre Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg – die erste große Einzelausstellung des mexikanisch-amerikanischen Fotografen Philip Montgomery (geb. 1988). Mit seinen dokumentarischen Schwarz-Weiß-Bildern, die unter anderem im New York Times Magazine und im New Yorker erschienen sind, porträtiert er die Gesellschaft der Vereinigten Staaten.
Betritt man die Ausstellung, fühlt man sich auf den ersten Blick zurückversetzt in Zeiten, in denen Dokumentaraufnahmen die Welt noch aufgerüttelt haben. Wer – wie Montgomery – heutzutage Schwarz-Weiß-Fotos macht, sieht sich vermutlich in einer Fotografen-Tradition von Dorothea Lange und Walker Evans bis hin zu Garry Winogrand mit seiner Street-Fotografie. Deren Fotos entstanden vor allem in der Zeit der 1920er bis 60er Jahre, vor der erdrückenden Allmacht der bewegten Fernsehbilder.
Montgomerys rund 80 Werke von 2014 bis heute spiegeln die Konflikte und Allianzen der aktuellen amerikanischen Gesellschaft, von Donald Trumps erster populistischer Kampagne bis zur Black-Lives-Matter-Bewegung, von Naturkatastrophen bis hin zu Wirtschaftskrisen und deren Auswirkungen auf die Menschen und ihr Zusammenleben. Der harte Helldunkelkontrast der Bilder wirkt oft dramatisierend und alarmierend, es herrscht eine Atmosphäre der Bedrückung, auch aufgrund der Nüchternheit des realistischen Stils. Zugleich sind die Fotos wie Rätsel: Man muss sie nach Zeichen und Erklärungen absuchen, und möchte doch gleich alles verstehen.
Die Kuratorin Nadine Isabelle Henrich hat dieses Phänomen aufgegriffen und gemeinsam mit Philip Montgomery ein kleines (kostenloses) Booklet mit begleitenden Texten herausgegeben. Hier könnte man vielleicht kritisch fragen, ob der Fotograf seinen Bildern beziehungsweise der Wirkung seiner Bilder nicht ganz traut? Aber tatsächlich ist diese Bild-Text-Kombination eine Bereicherung und man sieht das Foto aufgrund des gedruckten Kommentars plötzlich mit anderen Augen. Durch die Texte verstärkt sich noch das latente Gefühl einer unkontrollierbaren Bedrohung.
Wie auf dem Foto „The Chatman Family“: Die Vielfalt der Reaktionen der einzelnen Familienmitglieder ist bemerkenswert. Die Köpfe bilden eine aufsteigende Linie, die rechts oben das Gesicht der Mutter besonders betont. Ihre Mimik wirkt angespannt
und skeptisch. Die Fensterscheibe mit ihren Spiegelungen ist eine Art Bild-im-Bild, die dahinter befindlichen Gesichter vereinigen sich mit der gespiegelten Umgebung. Man ist „drinnen“, hinter der Tür, vermeintlich in Sicherheit, lehnt sich vor, um das Geschehen außerhalb besser verfolgen zu können. Die Jungen haben sich nach „draußen“ getraut, einer wendet sich dem Fotografen zu. Dass die Polizei nach Demonstrationen durch diese Gegend patrouilliert, erfährt man allein aus dem begleitenden Text. Und so findet man bei jedem Foto nach der Lektüre des Booklets immer neue Bedeutungsdimensionen.
Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Porträtgalerie bekannter und unbekannter Personen. Das Porträt eines diabolisch blickenden J. D. Vance ist allerdings schon etwas sehr plakativ, der Fotograf macht aus seiner politischen Überzeugung kein Geheimnis. Gleiches gilt für das Foto eines ausgestopften Weißkopfseeadlers. Das amerikanische Wappentier, Symbol für Freiheit und Stärke – hier ist es tot und nur noch eine Erinnerung seiner selbst. Der Vogel schmückt übrigens das Büro der ehemaligen – und zunehmend machtlosen – demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, wie man aus dem zugehörigen Text erfährt.
Eine wirklich interessante Ausstellung, die automatisch zum Nachdenken anregt, wenn man sich auf die Bilder einlässt. Unbedingt sollte man das ausliegende Booklet mit in die Ausstellung nehmen.
Philip Montgomery: American Cycles, bis 10. Mai 2026, Deichtorhallen, PHOXXI – Haus der Photographie temporär,
Deichtorstr. 1 -2, 20095 Hamburg, Di – So 11 – 18 Uhr, 1. Donnerstag im Monat bis 21 Uhr (freier Eintritt von 18 bis 21 Uhr). Weitere Informationen auf www.deichtorhallen.de