Mama Odessa
Maxim Billers autobiografischer Roman kommt in einer neuen Bühnenbearbeitung in die Kammerspiele. In der Titelrolle: Schauspielerin, Opernregisseurin, Schriftstellerin Adriana Altaras.
Ein Buch voll Poesie, Humor, Traurigkeit und Sehnsucht: Mit großem Lob wurde der Roman „Mama Odessa“ des in der Literaturszene nicht unumstrittenen Autors Maxim Biller nach seinem Erscheinen 2023 bedacht. Es ist die Geschichte einer russisch-jüdischen Familie aus Odessa, die 1970 in Hamburg gestrandet ist. Und es ist die Geschichte einer ganz besonderen Mutter-Sohn-Beziehung.
Nach dem Tod der Mutter Aljona blickt der Sohn Mischa anhand ihrer Briefe, die sie nie abgeschickt hat, zurück auf die Zeit in Odessa, die Flucht und die Suche nach einer neuen Heimat im Grindelviertel, Bieberstraße 7, gleich um die Ecke der Kammerspiele. Dabei nähert er sich emotional immer mehr der Mutter an. Regisseur Kai Wessel bearbeitete den Roman zusammen mit Kammerspiel-Dramaturgin Anja Del Caro und bringt ihn mit den Fernseh-bekannten Schauspielern Adriana Altaras und Florian Lukas auf die Bühne der Kammerspiele.
In der Lebensgeschichte von Adriana Altaras finden sich einige Parallelen zu Billers Roman. Auch ihre jüdische Familie musste die Heimat verlassen und kam später nach Deutschland. „Beide Familien waren kommunistisch geprägt. Da war für sie das westliche Europa völlig fremd“, erklärt die Schauspielerin und Schriftstellerin, die in Kroatien geboren wurde. „Es berührt mich sehr, wenn man über die Sehnsucht schreibt oder nachdenkt. Aber dies ist nicht meine Geschichte, dazu ist sie mir denn doch zu literarisch. Meine Geschichte kann man in meinen eigenen Büchern lesen.“ Wie zum Beispiel in „Titos Brille“ oder „Besser allein als in schlechter Gesellschaft“.
Aber noch eine andere Parallele hat sie in ihrer Rolle entdeckt. „Aljona ist sehr übergriffig und nimmt kein Blatt vor den Mund“, sagt Adriana, Mutter von zwei Söhnen. „Ich bin auch eine Mutter, die sich gern einmischt.“ Man glaubt es der temperament- und humorvollen Person sofort. Bei Sohn Aaron erreichte sie allerdings eher das Gegenteil. „Ich wollte, wie eine anständige jüdische Mutter, einen Anwalt oder Arzt“, bekennt sie selbstironisch, aber Aaron wurde trotz ihrer Bedenken Schauspieler.
Sie selbst kennt man als Schauspielerin aus vielen Fernsehrollen, etwa in der Reihe der „Kroatien-Krimis“ oder in „Morden im Norden“. Auf der Theaterbühne stand sie jedoch schon lange nicht mehr, in Hamburg zuletzt 2011 in „Anatevka“ im St. Pauli Theater. Stattdessen führt sie Regie, speziell bei Opern und Musicals. In Hannover inszenierte sie im letzten Jahr das Musical „Anything Goes“ und ihr nächstes Projekt ist die Oper „Turandot“. Schon vor 30 Jahren entschied sie sich, lieber vor als auf der Bühne zu stehen. „Ich hatte einige unangenehme Erfahrungen mit Regisseuren“, erklärt sie und beschloss: „Was ihr könnt, kann ich schon lange!“ Und so war es denn auch.
Deshalb kamen ihr bei der Anfrage für „Mama Odessa“ anfangs auch einige Zweifel. Würde ihr die Umstellung zurück zur Schauspielerei gelingen? Doch mit Kai Wessel hatte sie schon beim Fernsehen zusammengearbeitet und Florian Lukas kannte sie aus Berlin, ihrem Wohnort, auch privat. Und bei den Proben war ihr sofort klar: „Es ist auch eine Erleichterung für mich. Ich finde es schön, sich den Fantasien eines anderen hingeben zu können.“ Was aber nicht heißt, dass sich der Regisseur in seiner Bearbeitung vom Original entfernt. Im Gegenteil: „Die Umsetzung ist sehr nah an der Romanvorlage“, sagt Adriana Altaras. Sie kennt Maxim Biller persönlich. „Er ist für mich wie ein Bruder: Er geht mir manchmal auf die Nerven, aber ich kann ihn nicht abwählen,“ ulkt sie. Seinen Roman hatte sie schon gleich nach dem Erscheinen gelesen. Als Schriftstellerin hat sie selbst sich dieses ganze Jahr für ein neues Buch reserviert. Wieder eine Geschichte aus ihrem Umfeld: „Ich kann nur über das schreiben, wo ich mich auskenne. Dass ich Jüdin in Deutschland bin, ist dabei prägend. Aber es beschäftigt mich dabei, nicht nur ein Bild aus der Perspektive von Opfern aus dem Holocaust zu geben, sondern zu erzählen, wie unser Zusammenleben jetzt ist. Und den Humor nicht zu vergessen. Humor ist wichtig.“ Die allgegenwärtige Bedrohung durch rechtsradikale Tendenzen, die die Demokratie unterwandern, findet sie dabei durchaus bedrohlich, aber nicht nur für sie als Jüdin. „Das Problem haben wir alle gemeinsam.“
Brigitte Ehrich
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