
Auf der Suche...
Faszinierende Retrospektive des niederländisch-amerikanischen Künstlers
Bas Jan Ader
Er sei ein „Artist‘s Artist“, so Kuratorin Brigitte Kölle, eine Schlüsselfigur für nachfolgende
Künstlergenerationen. Dem breiten Publikum wird der Name Bas Jan Ader bislang jedoch wenig gesagt haben. Das soll sich nun ändern. Unter dem Titel „I‘m searching…“ widmet die Galerie der Gegenwart dem gebürtigen Niederländer und Wahl-Amerikaner derzeit eine umfassende Retrospektive – 50 Jahre, nachdem er bei einer Kunstaktion auf See
verschwand.
Ist er wirklich tot oder war sein mysteriöses Verschwinden Teil seines Projektes? Um Bas
Jan Ader (1942-1975) ranken sich Mythen und Verschwörungstheorien, auch deshalb,
weil sein Boot, das Monate nach seinem Start am 9. Juli 1975 von Cape Cod (Massachusetts,
USA) an der irischen Küste gefunden und geborgen wurde, auf ebenso mysteriöse Weise
verschwand wie der Künstler selbst. Alle Indizien jedoch sprechen dafür, dass der 33-jährige
in jenem Sommer ganz bewusst zu einem Himmelfahrtskommando aufbrach. Wie sonst soll
man das Vorhaben bezeichnen, in einem Einhand-Segelboot und mit einem einfachen
Sextanten ausgerüstet den Atlantik in Richtung Großbritannien zu überqueren – von Cap Cod,
Massachusetts (USA) in Richtung Falmouth, Großbritannien. Gerade, weil Ader bereits 1963
mit einem Großsegler nach Amerika kam, nach einer höchst gefahrvollen elfmonatigen Fahrt,
gerade, weil er selbst als erfahrener Segler galt, muss er gewusst haben, wie selbstmörderisch
die Idee war, in dieser 3,83 Meter langen Nussschale namens „Ocean Wave“ in See zu stechen.
Man fragt sich unwillkürlich, warum ihn seine Frau Mary Sue nicht von dem Wahnsinnsprojekt
abgehalten hat. Aber das ist nur eine von vielen Fragen, die wohl nie beantwortet werden.
Zurück blieben 36 Arbeiten, frühe Zeichnungen, Fotografien, 16-mm-Filme, Dia- und Raum-
installationen, die nun in Hamburg zum ersten Mal vollständig versammelt sind.
Der Rundgang beginnt mit frühen Zeichnungen ab 1959, aus seiner Zeit an der heutigen
Rietveld-Akademie in Amsterdam. Die darauf folgende raumgreifende (neu eingerichtete)
Installation von auf dem Boden verstreuten, zerbrechlichen Gegenständen, über denen be-
drohlich Betonklötze schweben (1970), verweist bereits auf sein Lebensthema: Die Verletz-
lichkeit menschlicher Existenz. Fast slapstickartig visualisiert er das Thema in sekunden-
kurzen Video-Sequenzen: Wenn er etwa in „Fall I“ von einem Hausdach stürzt, in „Fall 2“
mit dem Fahrrad in eine Gracht oder in „Broken Fall“ so lange an einem Ast über einem
Kanal hängt, bis er sich nicht mehr halten kann und ins Wasser fällt, dann zeigt er nicht
nur das Versagen eines Körpers – dann zeigt er das Scheitern als essenziellen Teil
unseres Daseins.
Die bekannteste Arbeit dürfte das Video „I’m too sad to tell you“ (1970) sein, das Brigitte
Kölle schon in der Ausstellung „Trauern“ 2020 zeigte. Ader bricht darin in Tränen aus.
Egal, ob einstudiert oder echt, in jedem Fall stellte der öffentlich weinende Künstler in der
damaligen Zeit nicht nur das Männlichkeitsbild in Frage, er verband erstmals auch die
kopflastige Konzeptkunst mit Gefühl, mit Melancholie (oder sollte man sagen Depression?)
und Romantik. Diese Melancholie ist übrigens in allen Arbeiten spürbar und sie liegt sicher
in seinem Kindheitstrauma begründet: Der Vater, ein Pfarrer im Widerstand, wurde von den
Nazis erschossen, als Bas zwei Jahre alt war. Insofern war seine permanente Suche nach
Grenzerfahrungen vielleicht auch eine gewisse Todessehnsucht und Aders letzte Aktion,
der zweite Teil seiner Trilogie „In search of the Miraculous“ (Auf der Suche nach dem Wun-
dersamen) nur konsequent: Er hatte das ultimative Scheitern schon vorprogrammiert.
Isabelle Hofmann
Bas Jan Ader „I’m searching…”, bis 24. August 2025, Hamburger Kunsthalle,
Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg. Di - So 10 - 18 Uhr, Do bis 21 Uhr.
Sonderöffnungszeiten: 9. Juni 10 - 18 Uhr.
Weitere Informationen auf www.hamburger-kunsthalle.de